Chile: Ein Land als Labor
Chile zeigt, was etliche Länder Europas noch erwartet: Eine Gesellschaft im permanenten Stress, in der die Demokratie nichts mehr wert ist.
Vierzig Jahre ist es her, dass am Morgen des 11. September 1973 Salvador Allende im Regierungspalast La Moneda in Santiago de Chile seine letzte öffentliche Rede hielt…
„Schockstrategie“ ist der Begriff, der das Damals und das Heute miteinander verbindet…
Der Putsch in Chile, aktiv gestützt von der US-amerikanischen Regierung und begrüßt vom Ökonomen und Nobelpreisträger Milton Friedman und den „Chicago Boys“, bereitete das Feld für eine perfekte Laborsituation, um ihre neoliberale Wirtschaftsdoktrin zu erproben…
Rund 3.000 Personen werden nach offiziellen Angaben ermordet oder verschwinden, rund 30.000 gefoltert. Eine ganze Gesellschaft wird geschockt…
Damals wie heute werden dieselben Medikamente zur „Heilung“ von Krisen verabreicht. So weisen die Maßnahmen, die General Augusto Pinochet unter den Einflüsterungen der Chicago Boys ergriff, frappierende Ähnlichkeiten zu denen auf, die heute den europäischen Krisenstaaten aufgezwungen werden: Staatsbetriebe, kollektive gesellschaftliche Ressourcen und Systeme der sozialen Daseinsfürsorge privatisieren, Löhne und Sozialausgaben massiv reduzieren, die Macht der Gewerkschaften und Beschäftigten beschneiden – damals dramatisch und direkt, heute indirekt und schleichend…
Chile zeigt dabei, was etliche Länder Europas noch erwartet. Denn hinter den aktuellen „Erfolgszahlen“ des chilenischen BIP verbirgt sich eine sozial versehrte Gesellschaft. In kaum einem anderen Land in Lateinamerika ist die Kluft zwischen Reichtum und Armut so extrem wie in Chile. In kaum einem anderen Land finden sich die Obszönitäten des „Mehr privat, weniger Staat“ so geballt.
Quelle: taz